HOMEVIDEO |
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deutsch 88 Min. | 687991 DE |
Originaltitel: | Homevideo | |
Regie: | Kilian Riedhof | |
Musik: | ||
Darsteller: | Jonas Nay, Wotan Wilke Möhring, Nicole Marischka, Sophia Boehme, Jannik Schümann, Tom Wolf, Willi Gerk | |
Deutschland 2011 |
Es gibt dem Schüler Jakob einen besonderen Kick, sich beim Onanieren in seinem Zimmer mit der Videokamera zu filmen, nachdem er eine Liebeserklärung an Mitschülerin Hannah in die Aufnahmelinse ausgesprochen hat. Der Jugendliche ahnt nicht, welche Folgen das kleine private Vergnügen noch haben wird.
Hannah mag Jakob auch. Die Zwei kommen sich näher. Für einige Augenblicke kann Jakob die deprimierende Situation in seinem Elternhaus vergessen. Seine Mutter ist an diesem Tag ausgezogen, sie hat auch die kleine Schwester mitgenommen. Sie will sich von ihrem Gatten trennen. Vater Claas ist wie vor den Kopf gestoßen, gibt sich ahnungslos.
Während Jakob Hannah besucht, klingelt sein Klassenkamerad Erik bei ihm zu Hause an der Tür, und Jakobs Mutter, die gerade ihre Sachen packt, leiht dem Kumpel ihres Sohns arglos dessen Kamera.
Erik und Henry lachen sich kaputt, als sie das Masturbationsvideo auf Jakobs Kamera sehen. Mit anzüglichen Anspielungen läßt Henry im Klassenzimmer erkennen, daß er die intime Aufnahme gesehen hat. Jakob begreift das Desaster und bricht in Panik aus. Henry beginnt mit einer beispiellosen Terror-Kampagne gegen Jakob.
Papa Claas ist von Beruf Polizist, er besorgt die Speicherkarte von Henry wieder. Aber das nützt nichts, denn Henry hat das Video bereits ins Internet gestellt und per Email herumgeschickt. Bald weiß die ganze Klasse, die ganze Schule von Jakobs Onaniervideo. Auch Hannah ist jetzt ein Opfer. Auch sie ist durch Jakobs unfreiwillig publik gewordene Liebeserklärung in Verbindung mit dem Amateurporno zum Spottobjekt geworden. Ihre Eltern laufen gegen Jakob Sturm. Die Erwachsenen debattieren, was nun getan werden soll. Aber was geschehen ist, läßt sich nicht rückgängig machen. Was im Netz steht, kann nie mehr gelöscht werden. Jakobs Leben ist zerstört!
Die Figur von Jakob ist absolut realistisch gezeichnet. Der Junge ist von allen Seiten bedrängt. Er wird wie bei einem Kesseltreiben eingekreist. Die auseinanderbrechende Familie, schulische Probleme mit schlechten Noten, die große Unsicherheit bei der ersten Liebe, das alles prasselt auf den Teenager ein und raubt ihm die Kräfte. So wird er für die sadistischen Gelüste des Mitschülers Henry zum leichten Angriffsziel.
Auch solche Typen wie Henry, dem jedes soziale Wertmaß fehlt, gibt es in der Wirklichkeit unserer Gesellschaft. Henry ist in seiner emotionalen Entwicklung zurückgeblieben, bei ihm konnte sich die Fähigkeit zur Empathie nicht ausbilden. Deshalb ist ihm nicht klar, wie zerstörerisch sein infantiles Handeln für das Menschenleben seines Opfers ist.
Stereotyp für den deutschen Fernsehfilm sind hingegen die Elternfiguren in ihrem naiv-ignoranten Aggressionsverhalten. Sie reagieren wie Aufziehhampelmänner nach einem klischeehaften Muster. Besonders der Vater ist hier genau der gleiche Antityp wie in dem Film "Der gute Sohn", wo der jugendliche Sohn auf jüngere Jungs steht und der Vater total ausrastet.
Statt seinem Sohn zuzuhören und sich mit seinen Sorgen und Motiven konstruktiv zu befassen, glaubt der Vater ungeprüft die Anschuldigungen, die andere gegen seinen Jungen erheben, und prügelt auf ihn ein. Wenn in so einer Lage auch noch die eigenen Eltern sich gegen das Opfer stellen, indem sie ihm nicht glauben und sich der allgemeinen Vorverurteilung anschließen, dann ist die Isolation perfekt, und der Weg in den Freitod ist wirklich kein Wunder. Daß im deutschen Fernsehfilm immer wieder dieser egomanische Versagertypus von Vater gezeigt wird, ist eine einseitige Verzerrung der Wirklichkeit. Allerdings gibt es diesen Vatertyp schon in echt, und zwar leider häufiger als man es wahrhaben will.
Ebenfalls mag es klischeehaft wirken, es ist aber bei genauer Betrachtung eine ganz reale Konstellation: Hannah wirkt einen Moment lang als die heimliche Heldin des Films, weil sie sich besinnt und als einzige zu Jakob hält. Dann aber demontiert sie sich ganz klassisch: Erst kriecht sie unter seine Bettdecke und macht ihn heiß, und als er dann ran will, schreit sie in Zeter und Mordio. Ein knallende Demonstration der unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeit der Geschlechter im Jugendalter. Das Mädchen kann nicht damit umgehen, daß sie mit ihrer offenen Zuwendung den sexuellen Drang des Jungen weckt. Mangelnden Realismus kann man dieser Szene kaum unterstellen.
Die erschreckenden Mechanismen des Mobbings zeigt der Film am Beispiel des peinlichen Videos. Man wird solcherlei Art von Mobbing an sich nie ganz ausrotten können, weil es immer irgend etwas gibt, das als Gegenstand benutzt werden kann, um jemanden zu erniedrigen. Man kann aber dem Geschütz Mobbing einen Großteil der Munition entziehen, und zwar einerseits durch Aufklärung und Sensibilisierung für das Thema, wie das in der Anne Will Studiodiskussion im Anschluß an die Fernsehausstrahlung des Films besprochen wurde, andererseits durch Neutralisation der potentiellen Mobbing-Objekte, was in der Runde im TV-Studio nicht behandelt wurde.
Was damit gemeint ist: Der im Film "Homevideo" konstruierte Fallhergang kann so nur zustande kommen, weil Sexualität in der Gesellschaft immer noch skandalisiert wird. Wenn sich keiner über ein solches Video aufregen würde, dann würde der ganze Mobbingangriff nicht funktionieren.
Es handelt sich nicht um Erpressung, sondern um öffentliche Diskreditierung einer Person, indem die Person mit einem Verhalten vorgeführt wird, welches in der Öffentlichkeit als inakzeptabel angesehen wird. Eine Normalisierung des öffentlichen Verhältnisses zur Sexualität und eine allgemeine Akzeptanz aller selbstbestimmter Formen von Sexualität in der Gesellschaft würde das Thema Sex für Mobbing und sonstige skandalisierende Destruktion unbrauchbar machen.
Als das tragische Opfer eines kollektiven Amoklaufs einer ganzen Gesellschaft an einem Individuum aus ihrer Mitte gibt Hauptakteur Jonas Nay in dem mit vielen Preisen ausgezeichneten Drama eine kompromißlos glänzende Vorstellung. Der junge Schauspieler verkörpert den aus seiner behüteten und langweiligen Lebenswelt als pubertierender Schüler in einer kleinbürgerlichen Mittelschichtfamilie herauskatapultierten Jungen faszinierend authentisch. Verunsicherung, Angst, Qual, Scham, Verzweiflung: Jakobs emotionale Reaktionen auf das Inferno, das so plötzlich auf ihn einbricht, sind in Jonas Nays präziser Darstellung für den Zuschauer auf berührende Weise fühlbar.
(Pino DiNocchio)
687991 DE | ||
Tonspur: | Deutsch | |
Untertitel: | keine | |
Länge: | 88 Min. | |
Bild: | 16:9 Widescreen 1:1.78 | |
Extras: | Audiokommentar von Hauptdarsteller Jonas Nay, Regisseur Kilian Riedhof, Autor Jan Braren, Produzenten Christian Granderath und Benjamin Benedict | |
- minus - | Covermotiv mit Zensurzeichen überdruckt |